16.09.2015: Rechtskonforme Asylaufnahmeverfahren sicherstellen!

Tischvorlage zum Runden Tisch des Regierenden Bürgermeisters von Berlin zur Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen.


Download der Tischvorlage als PDF hier.

Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Tischvorlage 

zum runden Tisch Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen am 16.09.2015

Rechtskonforme Asylaufnahmeverfahren sicherstellen!

* sofortige Zuweisung einer realen menschenwürdigen Unterkunft mit Sozialbetreuung statt Obdachlosigkeit per wochenlangem Warten vor dem LAGeSo, virtuellem Hostelgutschein, Zeltlager, Turnhallen, Flugzeughangars etc.

* sofortige Einleitung der Asylverfahren und Weiterleitung der Asylgesuche ans BAMF, sofortige Ausstattung mit den gesetzlich vorgesehenen Identitätspapieren mit Foto (BÜMA; binnen 14 Tagen Aufenthaltsgestattung nach AsylVfG!).

* sofortige Auszahlung des Taschengeldes nach § 3 AsylbLG um zB mit Angehörigen zu kommunizieren, zum Arzt/Krankenhaus zu fahren, sich in der Stadt per ÖPNV straffrei fortzubewegen, unabhängige Beratung und Information zu erhalten.

* Straffreiheit bei BVG und S-Bahn regeln – Geflüchtete werden durch Verweigerung der Sozialleistungen kriminalisiert. Ausgabe des Berlinpasses wird derzeit beim LAGeSo generell verweigert, Bürgerämter sind für AsylbLG-Berechtigte aber nicht zuständig. Warum sind ÖBB und DB kulanter als die BVG?

* sofortige Ausgabe von Krankenscheinen + Infos wie diese einzusetzen sind statt Notfallmedizin per Krankenhaus-Rettungsstelle, Sanitäter oder Ehrenamtsärzte im Flüchtlingslager, reguläre ambulante Behandlung und Medikamente usw. sichern.
Email einer Ärztin aus Hamburg: „In Hamburg haben sich viele Ärzte zur Versorgung in den Unterkünften gemeldet, das wird [von der Sozialbehörde] gut bezahlt. … Wir können registrierte Flüchtlingen allein schon mit einer Bescheinigung vom Wachdienst einer Aufnahmeeinrichtung mit der AOK  Bremerhaven [schon vor Erhalt der AsylbLG-GKV-Karte] abrechnen, den Krankenhäusern wird das auch zugesagt. Das ist doch mal was …“

* nachvollziehbare Infos über ZAA-Wartenummer und- dauer auf Deutsch und in Sprachen der Geflüchteten statt wochenlangem vergeblichen Warten vor der Asylaufnahmebehörde auf Aufruf der Nummer und einen kafkaesken Abfertigungs- und Wartestruktur am LAGeSo. Veröffentlichung des voraussichtlichen (demnächst) und tatsächlichen (aktuell) Aufrufs der Wartenummern an der Behörde und online im Internet.

* Mehrsprachige (nicht nur Arabisch) Infos über Notunterbringung, Fahrtziel der abendlichen Busse, Zweck und Zeitpunkt des Eintreffens der mobilen Registrierungsteams

* Sofortige Sozialhilfe, Krankenscheine, Unterkunft für Alte, Kranke, Behinderte, Schwangere, Familien mit Kleinkindern usw. LAGeSo nimmt derzeit Hinweise des Caritas-Teams nur verzögert und oft erst nach Tagen an, setzt sie falsch oder garnicht um: Hochschwangere mit Presswehen erhält Hostelgutschein statt Wohnheim, schwer Nierenkranker erhält eine Woche lang weder Krankenschein noch Unterkunft, usw.

* Bekämpfung möglicher Korruption bei LAGeSO, Security und Hostelbetreibern  hinsichtlich Reihenfolge der Abfertigung, Zuweisung nach Berlin, Mehrfachabrechnung von Schlafplätzen per Hostelgutschein.
Stopp der Vergabe von Hostelgutscheinen!

* rechtskonforme Bereitstellung mehrsprachiger Infos zum Asylverfahren, Existenzsicherungsleistungen, sozialen Rechten, Rechtsbeistand und Beratung.
§ 47 Abs. 4 AsylVfG „Die Aufnahmeeinrichtung weist den Ausländer innerhalb von 15 Tagen nach der Asylantragstellung möglichst schriftlich und in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, auf seine Rechte und Pflichten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz hin. Die Aufnahmeeinrichtung benennt in dem Hinweis nach Satz 1 auch, wer dem Ausländer Rechtsbeistand gewähren kann und welche Vereinigungen den Ausländer über seine Unterbringung und medizinische Versorgung beraten können.“ > vgl. dazu Art 5 EU-AsylaufnahmeRL!

* für unbegleitete Minderjährige statt rechtswidriger Einweisung in Hostels und Turnhallen und bis zu dreimonatigem Warten(!) auf Inobhutnahme durch das Jugendamt sofortige rechtskonforme Inobhutnahme, Betreuung und Versorgung (Regelsatz bzw. Taschengeld und Gesundheitskarte), nach § 39, 40, 42 SGB VIII, und Vormundschaften nach SGB VIII und BGB:
§ 42 SGB VIII: „Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn … 3. ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. … Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen.“

* Förderung behörden- und unterkunftsunabhängiger Asylverfahrensberatungsstellen durch das Land, vorhandene Strukturen reichen bei Weitem nicht aus, Regelförderung nur MEB und Migrantenvereine, Asylberatung ist laut LAGeSo-Verträgen auch nicht Aufgabe der Unterkünfte

* Sicherung professioneller Strukturen in den Unterkünften.
Es ist menschenwürdiger und für das Land günstiger und effizienter, rechtskonform Krankenscheine nach § 4 AsylbLG auszugeben statt Räume und Ärzte für eine unzureichende Notfallmedizin im Sammellager zu organisieren,
rechtskonform Taschengeld nach § 3 AsylbLG auszuzahlen statt auf Fahrscheinspenden zu verweisen und Geflüchtete wegen Beförderungserschleichung zu bestrafen und inhaftieren,
rechtskonform Kleidungsbedarf nach § 3 AsylbLG zu gewähren bzw. auszuzahlen statt Räume in Unterkünften als Kleiderkammern zu blockieren, und
professionelle Sozialarbeit in den Unterkünften sicherzustellen statt möglicherweise fehlerhafte Beratung durch Katastrophenschutzteams und Ehrenamtliche in Kauf zu nehmen, usw.

* Küchen und Selbstverpflegung in den Unterkünften ermöglichen, Begrenzung des Fertigessen auf maximal 3 Monate gemäß § 3AsylbLG (derzeit bis zu zwei Jahren!), Fertigessen ist für das Land dreimal so teuer wie Selbstversorgung, das gelieferte in Folien abgepackte Essen ist von Menge, Qualität und mangels Kennzeichnung von Inhalt und Hersteller unzumutbar. Viele Menschen in den Unterkünften hungern.

* Wir sind überwältigt von der großen Hilfsbereitschaft der BerlinerInnen.
Mit Sorge beobachten wir jedoch, wie vielfach Rechtsansprüche nach AsylbLG, AsylVfG und KJHG durch den Einsatz Ehrenamtlicher ersetzt werden:
Rechtswidrig kein Taschengeld, aber HelferInnen, die Wasser, Lebensmittel und Fahrscheine verteilen,
keine Kleidungsbeihilfen, aber ehrenamtliche Kleiderkammern, die Räume und Personal binden,
keine Krankenscheine, aber ehrenamtliche Ärzte, die Spenden für Medikamente sammeln,
keine Unterkünfte, aber Delegation der Verantwortung an Ehrenamtliche, die Flüchtlinge mit zu sich nach Hause nehmen,
Ehrenamtliche, die über Wochen rechtswidrig nicht in Obhut genommene minderjährige Flüchtlinge betreuen, und
private Heimbetreiber, die per Facebook kostenlose ehrenamtliche Mitarbeiter akquirieren, usw.

Weitere Forderungen Land – Umsetzung geltendes Recht

> Der Abgang aus den Sammelunterkünften und die Anmietung regulärer Wohnungen durch Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge ist gezielt zu fördern, durch
* Werbung durch den Regierenden Bürgermeister für die Vermietung an Asylsuchende,
* gezielte Unterstützung durch Jobcenter (zB Mietübernahmescheine von Amts wegen!), Sozialämter und Projekte freier Träger (analog EJF),
* Wohnberechtigungsschein zum Bezug einer Sozialwohnung auch für Asylsuchende und Geduldete (wie zB in Potsdam), und
* kein Verbot der Anmietung von Wohnungen als Sanktion für Geduldete (§ 1a AsylbLG) und Asylsuchende aus dem Westbalkan!

> frühestmögliche Leistungsgewährung durch die Jobcenter, Alg II, Sprachförderung und Arbeitsmarktintegration sofort ab Zustellung Flüchtlingsanerkennungsbescheid Asylbundesamt BAMF, rechtskonforme Umsetzung nach SGB II und EU-Qualifikations-Richtlinie,
vgl. BA für Arbeit, Wissensdatenbank SGB II, § 7 SGB II Beitrag Nr. 070065, www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/Veroeffentlichungen/WissensdatenbankSGBII/index.htm

> Alg II auch bereits mit Visum zum Familiennachzug zu Flüchtlingen, entlastet Land und fördert Integration, vgl Urteil SG Berlin SG_Berlin_Alg_II_mit_Visum_zum_Familiennachzug.pdf.

> Feststellung besonderer Schutzbedürftigkeit nach EU-Asylaufnahme-Richtline als permanenten Prozess gewährleisten (Bsp. Schwangerschaft); Dolmetscherkosten ins SGB V (Sozialgesetzbuch Krankenversicherung) aufnehmen, Psychosoziale Zentren für Geflüchtete (PSZ) als Institutsambulanzen ins SGB V aufnehmen.

> Umsetzung vorschulische Kita-Sprachförderung, Schulpflicht und Hort ab dem ersten Tag des Aufenthaltes in Regelkitas bzw. Regelschulen, keine Lagerschulen bzw. -kitas, mehrsprachige Informationsblätter (vgl. Art. 5 EU-AsylaufnahmeRL).

> Zugang für alle Jugendlichen und junge Erwachsenen zu Schulabschlüssen sichern.

> ersatzlose Streichung der in dieser Form nur in Berlin existierenden Studierverbotsauflagen für Asylsuchende und Geduldete.

Weitere Forderungen Bund – Rechtsänderungen

Um die dringend nötigen Unterbringungskapazitäten bereitzustellen und Obdachlosigkeit zu verhindern, ist die Lagerpflicht nach § 47 AsylVfG ersatzlos abzuschaffen,  statt sie von 3 auf 6 Monate auszuweiten.

> Die Einweisung in Sammelunterkünfte nach §§ 46 ff und 53 AsylVfG ist abzuschaffen, der Zugang zu Mietwohnungen ist zu fördern, auf Wohnsitzauflagen ist zu verzichten (VwV zu § 12 AufenthG; § 55 ff. AsylVfG), für die Vermietung an Geflüchtete ist öffentlich zu werben.

> Verzicht auf bundesweite Umverteilung und Wohnpflicht nach AsylVfG von Anfang an, wenn eine private Unterbringung möglich ist.

> Klarstellung in § 27 Wohnraumförderungsgesetz WoFG um Wohnberechtigungsscheine für Asylsuchende und Geduldete bundesweit sicherzustellen (Bremen, Köln, Potsdam usw. machen das schon jetzt – Berlin nicht…).

Geplantes Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung AsylAufnahmeRichtlinie EU und AsylVerfahrensRichtlinie EU nutzen:

> medizinische Standards für alle AsylblG-Berechtigten (§§ 1, 1a, 2, 3ff AsylbLG) nach § 5 SGB V hilfsweise 264 II SGB V vereinheitlichen;

> Informations- und Beratungspflicht der Sozialbehörden analog §§ 13 – 15 SGB I für Asylsuchende regeln; Anpassung § 44 und 45 AufenthG (Integrationskurs und -beratung auch für Asylsuchende);

> Anpassung § 47 Abs. 4 und § 62 AsylVfG (Beratungspflichten im Asylverfahren, soziale Aufnahmebedingungen, angebotsorientiere Gesundheitsberatung).

> Ausweitung der Ausbildungsförderung in § 8 Abs. 2a BAföG auf Asylsuchende.





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