Veröffentlicht am 12.09.2011

Forderungen an den neuen Senat – Sozialticket und Wohnungen für Flüchtlinge

Berlin braucht eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik

Der Flüchtlingsrat Berlin legt einen Forderungskatalog an die neu gewählten Abgeordneten und den neuen Senat vor. Zu den wichtigsten Forderungen zählen: Arbeitsverbote und verfassungswidriges AsylbLG aufheben, Zugang zu Wohnungen und Mobilität sichern, Bleiberecht und Teilhabe ermöglichen.


Langfassung Forderungskatalog (19 Seiten)
Kurzfassung (2 Seiten)

Zugang zu Arbeit und Mobilität sichern, verfassungswidriges AsylbLG aufheben

Arbeits- und Ausbildungsverbote sind die Hauptursachen der Sozialhilfebedürftigkeit von Flüchtlingen. Vor Einführung des Arbeitsverbots Anfang der 80er Jahre arbeiteten in (West-) Berlin 70 % der Asylsuchenden. Heute sind 99% auf Sozialleistungen angewiesen. Berlin soll sich beim Bund für die Abschaffung der Arbeitserlaubnispflicht für alle MigrantInnen und Flüchtlinge einsetzen. Berlins Ausländerbehörde muss auf rechtlich fragwürdige Erwerbs- und Ausbildungsverbotsauflagen verzichten.

Die Regelsätze des Asylbewerberleistungsgesetzes sind seit 1993 trotz 32,5 % Preissteigerung bis heute unverändert geblieben. Sie liegen inzwischen um 38 % unter Hartz IV. Das AsylbLG verletzt nach einhelliger Ansicht von ExpertenInnen das Grundrecht auf menschenwürdige Existenz und auf Gleichheit sowie das Sozialstaatsgebot (Art. 1, 3, 20 GG).[1] Die Bundesregierung hat die Verfassungswidrigkeit des AsylbLG eingeräumt, ist bisher jedoch untätig geblieben. Berlin muss sich für die Aufhebung des verfassungswidrigen AsylbLG einsetzen.[2]

Als Sofortmaßnahme zum wenigsten teilweisen Ausgleich der viel zu niedrigen AsylbLG-Regelsätze fordern wir vom Berliner Senat, dass alle unter das AsylbLG fallende Kinder und Erwachsenen ein BVG-Sozialticket erhalten.[3]

„Die Senatssozialverwaltung geht davon aus, dass der AsylbLG-Regelsatz einen Fahrkostenanteil von nur 5,11 Euro pro Monat enthält. Davon kann man gerade mal zweieinhalb AB-Fahrscheine bezahlen. Ein Ausgleich der nicht gedeckten Bedarfe ist verfassungsrechtlich geboten“, sagt Georg Classen, Sozialrechtsexperte des Flüchtlingsrats Berlin.[4]

Wohnungen statt teurer Sammellager

Dringender Handlungsbedarf besteht auch bei der Wohnungsversorgung von Flüchtlingen. Der Senat eröffnet derzeit ständig neue Sammellager für Flüchtlinge. Private Betreiber erhalten für Flüchtlingsunterkünfte zweifelhafter Qualität immer höhere Tagessätze. Das Leben im Lager entmündigt die Menschen und macht sie krank, seelisch wie körperlich.

Statt neue Sammellager zu eröffnen, muss der Senat den Zugang zu Mietwohnungen sichern. Unter das AsylbLG fallende Flüchtlinge haben am Wohnungsmarkt eine schlechte Ausgangsposition. Als Sofortmaßnahmen sind anders als bisher rechtsverbindliche Mietübernahmebescheinigungen zur Wohnungssuche auszustellen; wie bei Hartz IV-EmpfängerInnen müssen Mietkautionen regelmäßig übernehmen werden und die seit 2005 auch für Hartz IV-EmpfängerInnen weitgehend unveränderten Mietobergrenzen müssen endlich an die Marktrealitäten angepasst werden.[5]

Georg Classen: „Zehn Jahre hatte der rot-rote Senat Zeit, in Berlin eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik umzusetzen. In vielen Bereichen ist die Bilanz jedoch enttäuschend. Von der neuen Landesregierung erwarten wir mehr Engagement. Unser Forderungskatalog zeigt, was zu tun ist.“

Pressekontakt:

Martina Mauer, Flüchtlingsrat Berlin e.V., 030 24344 5762
Georg Classen, Flüchtlingsrat Berlin e.V., 030 69564992

Weiteres aus unserem Forderungskatalog in Kürze:

  • Teilhabe sichern statt diskriminierender Integrationsdiskurse. Faktische und rechtliche Hindernisse für eine gleichberechtigte Teilhabe beseitigen, Schutz vor Diskriminierung sichern, ausreichend Deutschkurse unabhängig vom Aufenthaltsstatus anbieten.[6]
  • Asylbewerberkindern darf der Kita- und Schulbesuch nicht länger rechtswidrig verweigert werden. Die diskriminierende Ersatzbeschulung im Sammellager ist abzuschaffen, die Kinder sind schnellstmöglich in Regelklassen zu integrieren.
  • Nach dem AsylbLG funktioniert die medizinische Versorgung nicht. Als Sofortmaßnahme auf Landesebene soll Berlin an AsylbLG-Berechtigte Krankenversichertenkarten nach dem „Bremer Modell“ ausgeben, vgl. www.fluechtlingsrat-berlin.de > Recht und Rat > Medizin.
  • Für noch bestehende Aufnahmelager sind verbindliche Maßgaben zu Zahl und Qualifikation des Personals, der Gemeinschaftsräume, der Kinderbetreuung, Zugang zu Kommunikationsmitteln (Internet) usw. zu machen. Auf Bundesebene soll Berlin sich für die Abschaffung des Lagerzwangs in AsylVfG und AsylbLG einsetzen.
  • Ein kommunales Ausländerwahlrecht schafft keine echte Teilhabe. Berlin muss sich für ein umfassendes Wahlrecht einsetzen und die Einbürgerung erleichtern.
  • Berlin muss sich für die bundesweite Abschaffung der Residenzpflicht einsetzen und als Sofortmaßnahme mit Brandenburg einen gemeinsamen Residenzpflichtbezirk bilden.
  • Die Berliner Ausländerbehörde setzt noch immer auf Abwehr und Abschreckung. Die Behördenleitung muss verändert werden, das Selbstverständnis der Behörde sich grundlegend ändern.
  • Unionsbürger in prekären sozialen Lagen müssen qualifizierte Beratung und Zugang zu sozialen und medizinischen Hilfen erhalten. Berlin muss sich für die Sicherung der sozialen Menschenrechte und die Legalisierung von Menschen ohne Papiere einsetzen.
  • Berlin soll eigenständig schutzbedürftige Flüchtlinge aufnehmen, z.B. aus den Lagern in Nordafrika. Berlin muss sich beim Bund für ein Resettlement-Programm einsetzen, und bei der EU für die Sicherung der Menschenrechte Schutzsuchender an den EU-Außengrenzen.
  • Berlin soll sich für eine dauerhafte Bleiberechtsregelung ohne Stichtag einsetzen. Anpassungsqualifizierungen, Ausbildung und Arbeitsaufnahme sind umfassend zu fördern. Das Bleiberecht muss auch für erwerbsunfähige, alte und kranke Menschen gelten.
  • Berlin baut auf dem im Bau befindlichen Flughafen BBI Willy Brandt keine neue Haftanstalt für Asylbewerber. Schutzsuchenden wird die Einreise zur Durchführung des Asylverfahrens in Freiheit ermöglicht.

[1] Flüchtlingsrat Berlin, Das Asylbewerberleistungsgesetz und das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, Stellungnahme zur Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 07.02.2011, Classen_AsylbLG_Verfassung.pdf.

[2] BT-Drs 17/3660 v. 10.11.2010, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/036/1703660.pdf.

[3] Mit Sozialticket liegen die monatlichen Leistungen noch immer 105,53 € bzw. 29 % unter dem Hartz IV-Regelsatz (224,97 € AsylbLG + 33,50 € Sozialticket < > 364 € Hartz IV).

[4] Rdschr. SenIAS Rundschreiben I Nr. 20/2003 über Fahrkosten für Leistungsberechtigte nach AsylbLG, www.berlin.de/sen/soziales/berliner-sozialrecht/land/rdschr/2003_20.html. Durch das Sozialticket würde die individuelle Beantragung von Einzel- und Monatstickets für Behörden- und Arzttermine und zum Schulbesuch entfallen.

[5] Vgl. dazu ausführlich Flüchtlingsrat Berlin, Flüchtlingsunterbringung in Berlin – Lager oder Wohnungen? Stellungnahme zur Anhörung im Abgeordnetenhaus Berlin am 20.01.2011 Classen_AsylbLG_Wohnen_Berlin_200111.pdf.

[6] Asylsuchenden und Geduldeten wird in Berlin der Zugang zu Integrationskursen generell verweigert, neuerdings auch manchen bleiberechtigten Flüchtlingen mit Aufenthaltserlaubnis.





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