Veröffentlicht am 22.12.2003

Die Berliner Ausländerbehörde begeht Weihnachten auf ihre Weise

Die Berliner Ausländerbehörde hat in der Vorweihnachtszeit offenbar jegliches Augenmaß bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht von Flüchtlingen verloren. Dem Flüchtlingsrat Berlin liegen Berichte der im Abschiebungsgewahrsam tätigen Seelsorger/innen vor, die diesen Eindruck bestätigen.


Fall 1
Am 19. Dezember 2003 sollten zwei Brüder Suchlan (*1985) und Holsat A. (*1986) aus Kirgisistan abgeschoben werden. Sie erwartete nach einer erzwungenen Rückkehr als Vollwaisen und ohne bestehende verwandtschaftlichen Kontakte in ihrem Herkunftsland ein Leben am Rande des Existenzminimums (vgl. Pressemitteilung des Flüchtlingsrates Berlin vom 18.12.2003).

Nach Informationen des Seelsorgers, Pfarrer Dieter Ziebarth, wurden die Brüder am Vorabend der geplanten Abschiebung getrennt. Der jüngere Bruder sollte allein abgeschoben werden. In Begleitung von vier BGS-Beamten wurde er am 19.12.2003 zum Flughafen Berlin-Schönefeld gefahren. Er sollte zunächst mit einer Maschine der russischen Airline Aeroflot nach Moskau abgeschoben werden. Im Flugzeug protestiere Holsat gegen die Trennung von seinem Bruder. Nach seinen Aussagen wurde er dann von den anwesenden BGS-Beamten (u.a. auf dem Kopf) geschlagen. Sie versuchten außerdem, ihm den Mund zu zuhalten. Angesichts der Proteste der Passagiere forderte der Flugkapitän die BGS-Beamten auf, das Flugzeug mit Holsat zu verlassen. Die Ausländerbehörde stellte nach diesem gescheiterten Abschiebungsversuch wieder einen Haftantrag. Diesem wurde vorerst bis zum 08.01.2004 stattgegeben. Die Ausländerbehörde und der Rechtsanwalt des Jungen wurden aufgefordert, bis zu diesem Termin ihre Stellungnahmen zu den Vorgängen am 19.12.2003 einzureichen. Hierbei ist anzumerken, dass nach Auskunft des Seelsorgers Holsat in Folge des Abschiebungsversuches Druckstellen und Hautabschärfungen an den Handgelenken sowie an den Fußknöcheln erlitten hat. Wegen starker Kopfschmerzen musste er nach dem Abschiebungsversuch im DRK-Krankenhaus Berlin – Köpenick geröntgt werden. Den Brüdern droht weiter die Abschiebung.

Fall 2
Die Ausländerbehörde plant am zweiten Weihnachtsfeiertag die Abschiebung einer alleinstehenden Frau, Dragica L., mit ihren vier minderjährigen Kindern im Alter von 2 bis 12 Jahren nach Belgrad. Nach Auskunft der Senatsverwaltung für Inneres kann Frau L. nicht vom geltenden Abschiebungsstopp für Roma-Familien oder Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern nach Serbien-Montenegro profitieren, da sie aufgrund begangener Straftaten (zuletzt wegen „Schwarzfahrens“) verurteilt wurde.

Der Flüchtlingsrat Berlin ist der Ansicht, dass die vier minderjährigen Kinder nicht für die Verfehlungen ihrer Mutter faktisch in „Sippenhaft“ genommen werden können.

Zwangsweise Rückführungen von Roma-Flüchtlingen wurden – wie bereits im Vorjahr im Ergebnis von Protesten der Betroffenen gegen ihre drohende Abschiebung – zunächst während der Wintermonate bis zum 31. März ausgesetzt. Für Familien mit schulpflichtigen Kindern wurde zudem eine Regelung erlassen, wonach darüber hinaus die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen zu prüfen ist. Dies erfolgte vor dem Hintergrund von Berichten zur katastrophalen sozialen und humanitären Lage, die die Lebenssituation von Roma-Flüchtlingen in Serbien-Montenegro, z.B. in Lagern am Rand von Belgrad, kennzeichnet.

Der Berliner Ausländerbehörde sollte es also klar sein, dass die vorgesehene Abschiebung für Dragica L. und ihre Kinder erhebliche Risiken im Hinblick auf die Sicherung ihres Lebensunterhalts, ihres Überlebens, in sich birgt.

Die beiden geschilderten Fälle zeugen von einem restriktiven Vorgehen der Ausländerbehörde, die der Durchsetzung der Ausreisepflicht von Flüchtlingen Vorrang bei Achtung ihrer Menschen- und Grundrechte einräumt.

Der Flüchtlingsrat Berlin fordert die Leitung der Ausländerbehörde diese Praxis sofort zu beenden, die vorgesehen Abschiebungen nicht durchzuführen und die betroffenen Flüchtlinge zu entlassen. In diesem Zusammenhang erwartet der Flüchtlingsrat auch entsprechendes Handeln von der zuständigen Senatsverwaltung.

Flüchtlingsrat Berlin
Berlin, 22. Dezember 2003

Anmerkungen
Ein Freiflug zum Weihnachtsfest
TAZ Berlin 27.12.2002
29-jährige Roma mit vier kleinen Kindern nach Belgrad abgeschoben, zweijähriger Sohn dringend auf medizinische Versorgung angewiesen. LKA überprüft Vorwürfe gegen BGS wegen Misshandlung bei Abschiebeversuch nach Kirgistan. 150 Schüler verlangen Bleiberecht für Mitschüler aus dem Kosovo

Ausländerbehörde versucht rechtswidrige Abschiebung traumatisierter Bosnier
TAZ Berlin vom 20.12.2002

Schikanen statt Service bei der Ausländerbehörde
Presseerklärung der Grünen Berlin vom 22.12.2003

„Name. Hier. Sohn da unterschreiben“
Szenen aus dem Ausländeramt an der Nöldnerstraße
TAZ Berlin vom 27.12.2003

Alleinerziehende Roma-Frau:
GdP-Mitglied fordert „Konsequente Abschiebepraxis“
Leserbrief Berliner Morgenpost vom 27.12.03

 

Presseerklärung des Flüchtlingsrats Berlin vom 22. Dezember 2003





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