Veröffentlicht am 10.02.2010

Hartz IV und Leistungen für Asylbewerber verfassungswidrig!

Pressemitteilung vom 10.02.2010
Das Bundesverfassungsgericht urteilte gestern, dass die Hartz-IV-Regelsätze verfassungswidrig sind und völlig neu berechnet werden müssen. Der Flüchtlingsrat Berlin fordert: Auch die Beträge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) müssen überprüft bzw. das Gesetz ganz abgeschafft werden! Denn die Beträge wurden völlig willkürlich festgesetzt, seit 1993 nicht an die Preisentwicklung angepasst und liegen weit unterhalb eines menschenwürdigen Existenzminimums.


Nach dem gestrigen Urteil des BVerfG ergibt sich aus der Verfassung ein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Dessen betragsmäßige Höhe ist in einem transparenten Verfahren realitätsgerecht auf Grundlage verlässlicher Zahlen zu ermitteln. Die Leistungen dürfen nicht auf „offensichtlich freihändig geschätzten Zahlen“ beruhen. Genau dies ist jedoch beim 1993 eingeführten Asylbewerberleistungsgesetz der Fall:

Die Leistungen für asylsuchende, geduldete und bleibeberechtigte Flüchtlinge beruhen von Anfang an auf „offensichtlich freihändig geschätzten Zahlen“. Das vom BVerfG als unzulänglich kritisierte Bedarfsbemessungssystem bei Hartz IV fehlt beim AsylbLG von vornherein.

Die AsylbLG-Leistungen wurden seit 1993 entgegen der gesetzlichen Vorgabe in § 3 Abs. 3 AsylbLG nicht einmal an die Preisentwicklung angepasst. Sie liegen inzwischen bei nur noch 62,66 Prozent der Hartz IV-Sätze und werden obendrein häufig in Sachleistungen gewährt!1 Der Gesetzgeber erzeugt durch das Arbeitsverbot und die viel zu geringen Leistungen für Flüchtlinge eine künstliche Notlage, in der ein menschenwürdiges Leben nicht möglich ist.

„Die Hartz-IV-Sätze sind zu niedrig und müssten dringend erhöht werden. Doch die Leistungen für Asylbewerber liegen sogar noch weit darunter“, sagt Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat. „Das Asylbewerberleistungsgesetz führt zu staatlicher Mangelversorgung und einem bewussten Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe. Die Konsequenz dieses diskriminierenden Gesetzes ist, dass Kinder ohne Stifte und Hefte in die Schule gehen, Menschen im Winter keine warme Kleidung haben und die notwendige Behandlung von Krankheiten verhindert oder verschleppt wird,“ so Classen weiter.

Seit seiner Einführung stehen das Asylbewerberleistungsgesetz und das damit verbundene Sachleistungsprinzip in der Kritik. Ganz aktuell protestieren in Niederbayern die Bewohner mehrerer Flüchtlingslager mit einem Hungerstreik gegen die diskriminierenden Essens- und Hygienepakete und die Unterbringung in Sammelunterkünften. Mehr zu den Protesten in Niederbayern unter www.carava.net.

Anlässlich des Urteils des BVerfG fordert der Berliner Flüchtlingsrat: Auch das AsylbLG muss dringend verfassungsrechtlich überprüft und die Beträge gemäß dem tatsächlichen Bedarf und auf der Grundlage verlässlicher Zahlen ermittelt werden. Flüchtlinge haben ebenso wie Hartz-IV-Empfänger das Recht auf eine menschenwürdige Existenz!

Weitere Informationen zum Thema auf der Homepage des Berliner Flüchtlingsrats.

Pressekontakt: Martina Mauer, Flüchtlingsrat Berlin, (0 30) 2 43 44 57 62, mauer@fluechtlingsrat-berlin.de

1 224,97 € Wert Sachleistungen + Barbetrag AsylbLG ./. 359,- € Regelsatz Arbeitslosengeld II
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FR 12.02.2010 Asylbewerberleistungsgesetz – Hoffen für Flüchtlinge
TAZ 12.02.2010 REGELSÄTZE FÜR ASYLSUCHENDE – Weit unterhalb von Hartz IV
JW 12.02.2010 Mit der Menschenwürde nicht vereinbar – Flüchtlingsrat Berlin: Auch Leistungen für Asylbewerber sind verfassungswidrig
SZ 13.03.2010 Hoffnung für 130 000 Asylbewerber – Hartz-IV-Urteil könnte Flüchtlinge begünstigen – bisher erhalten sie 180 Euro im Monat

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Das Asylbewerberleistungsgesetz in Zahlen

Nach § 3 AsylbLG wird seit 1993 unverändert ein in „Deutscher Mark“ ausgewiesenes Taschengeld von „80 DM im Monat“ (=40,90 € mtl. bzw. 1,36 € pro Tag und Person) ausgezahlt, als einziges Bargeld für den gesamten persönlichen Bedarf wie z.B. Tickets für den öffentlichen Nahverkehr, Telefon, Porto, Rechtsanwalt usw.

Die Leistungen für Essen, Kleidung, Körperpflege und Haushaltsenergie werden vorrangig als Sachleistungen (Essenpakete, Vollverpflegung, Gutscheine), mancherorts (z.B. in Berlin) auch in bar gewährt. Der Wert beträgt seit 1993 unverändert 360 DM bzw. 184,07 €/Monat.

Zusammen (40,90 Barbetrag + 184,07 Sachleistungen bzw. Gutscheine) ergibt dies einen Wert von 224,97 €/Monat.

Zum Vergleich: Der Regelsatz für denselben Bedarf beträgt beim Arbeitslosengeld II 351 €/Monat. Flüchtlinge erhalten mit 224.97 € nur 62,66 % davon.
Auch die medizinische Versorgung (Krankenscheine gibt es nur bei akuten und schmerzhaften Erkrankungen) und die Leistungen zur Unterkunft (vorrangig in Gemeinschaftsunterkünften) sind für Flüchtlinge eingeschränkt (vgl. Pressemitteilung Flüchtlingsrat Berlin zum 15. Jahrestag des Asylbewerberleistungsgesetzes).

Wortlaut des AsylbLG, aktuell gültige Fassung (Auszug):

§ 3 Grundleistungen

(1) Der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts wird durch Sachleistungen gedeckt. … Zusätzlich erhalten Leistungsberechtigte
1.bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 40 Deutsche Mark,
2.von Beginn des 15. Lebensjahres an 80 Deutsche Mark
monatlich als Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens. …

(2) Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylverfahrensgesetzes können, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, anstelle von vorrangig zu gewährenden Sachleistungen nach Absatz 1 Satz 1 Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen im gleichen Wert gewährt werden. Der Wert beträgt
1.für den Haushaltsvorstand 360 Deutsche Mark,
2.für Haushaltsangehörige bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres 220 Deutsche Mark,
3.für Haushaltsangehörige von Beginn des 8. Lebensjahres an 310 Deutsche Mark
monatlich zuzüglich der notwendigen Kosten für Unterkunft, Heizung und Hausrat. …

(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales setzt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Beträge nach Absatz 1 Satz 4 und Absatz 2 Satz 2 jeweils zum 1. Januar eines Jahres neu fest, wenn und soweit dies unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lebenshaltungskosten zur Deckung des in Absatz 1 genannten Bedarfs erforderlich ist. Für die Jahre 1994 bis 1996 darf die Erhöhung der Beträge nicht den Vom-Hundert-Satz übersteigen, um den in diesem Zeitraum die Regelsätze gemäß § 22 Abs. 4 des Bundessozialhilfegesetzes erhöht werden.“

Die Beträge nach § 3 sind 1993 unverändert. Die Regelung des § 3 Abs. 3 AsylbLG zur Anpassung der Beträge an die Preisentwicklung wurde seit Inkrafttreten des AsylbLG am 01.11.1993 noch niemals angewandt.





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