Veröffentlicht am 17.10.2003

Innensenator schiebt schwangere Roma Frauen ab

Historische Verantwortung versagt

Die Berliner Ausländerbehörde hat am Mittwoch 15.10.03 die schwangere Roma Frau N. nach Belgrad abgeschoben. Frau N. wurde trotz ihrer Schwangerschaft mehr als zwei Monate in Berliner Abschiebehaft festgehalten.


Sie ist in der 27. Schwangerschaftswoche und musste während der Haft wegen Beschwerden in Folge der Schwangerschaft mehrfach im Krankenhaus behandelt werden. Darüber hinaus leidet sie an einer Ohrenerkrankung. Trotzdem hat der Polizeiärztliche Dienst sie für haft- und flugfähig erklärt.

Die Haft, die drohende Abschiebung und die Trennung von ihren beiden in Berlin lebenden Söhnen im Alter von sechs und elf Jahren waren sehr belastend für sie.

Frau N. lebte bereits seit 1991 in Deutschland. Obwohl der Vater ihres ungeborenen Kindes Deutscher ist und seine Vaterschaftsanerkennung vorliegt wurde die Abschiebung vollzogen. Die beantragte Heirat war bisher nicht möglich, da die dafür im August beantragte Genehmigung vom Berliner Kammergericht bislang nicht bearbeitet wurde.

Frau N. hat weder soziale Bindungen in Serbien noch finanzielle Mittel, um zu überleben, von den Kosten für die Geburt und die Versorgung des Neugeborenen völlig zu schweigen.

Die Berliner Ausländerbehörde hat am Donnerstag 16.10.03 auch die schwangere Roma Frau S. zusammen mit ihren vier Kindern nach Sarajewo abgeschoben. Frau S. wurde seit 07.10.03 in Berliner Abschiebehaft festgehalten. Auch Frau S. musste während ihrer Inhaftierung wegen Beschwerden im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft (14. Woche) zeitweise stationär ins Krankenhaus aufgenommen werden. Frau S. lebte in Berlin mit ihrem 5jährigen Sohn und ihrem deutschen Ehemann zusammen, ihre anderen Kinder lebten bei Verwandten. Die Ausländerbehörde wirft ihr eine „Scheinehe“ vor. Über eine vergangene Woche beim Berliner Petitionsausschuss eingereichte Petition ist noch nicht entschieden.

Frau S. lebte ebenfalls bereits seit 1991 in Deutschland.

  • Beide Frauen sind aufgrund ihres Schwangerschaft, des langjährigen Aufenthalts in Berlin, der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma sowie ihrer Partnerschaft bzw. Ehe mit Deutschen zweifellos besondere Härtefälle. Beide Schicksale ähneln sich. Alle einer vernünftigen Ermessensabwägung zugänglichen Argumente sprechen gegen die Vorgehensweise der Ausländerbehörde und des Berliner Innensenators. Nach dem Ausländergesetz besteht in solchen Fällen die Möglichkeit des Verzichts auf Abschiebehaft und der Erteilung einer Duldung aus humanitären Gründen bis zum Zeitpunkt der Geburt (§ 55 Abs. 3 AuslG). Mit der Geburt muss der Mutter eines deutschen Kindes dann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden (§ 23 AuslG).
  • Schwangere Frauen sollten grundsätzlich nicht in Abschiebehaft genommen werden. Wir gehen davon aus, dass in beiden Fällen eine unabhängige medizinische Begutachtung die Haftunfähigkeit der Schwangeren bestätigt hätte. Die Berliner Gewahrsamsordnung bestimmt allerdings, dass die „Beurteilung und Entscheidung über die Verwahr- und Reisefähigkeit“ der Abschiebehäftlinge ausschließlich dem polizeiärztlichen Dienst obliegt. Der Flüchtlingsrat sieht hierin einen Interessenkonflikt der für die medizinische Behandlung Inhaftierter ebenso wie den Vollzug von Abschiebungen verantwortlichen Polizeiärzte, der eine unabhängige medizinische Begutachtung unmöglich macht.
  • Beide Kinder haben deutsche Väter, so dass ab Geburt ein Rechtsanspruch auf Aufenthalt für die Mutter und das deutsche Kind besteht. Es erscheint unverständlich, ja zynisch, dass dennoch die Abschiebungen vollzogen wurden, obwohl in wenigen Monaten die Geburt stattfinden wird und die Mütter mit ihren Kindern dann ohnehin wieder einreisen dürfen.
  • Beide Frauen waren während ihrer Haft von ihren bereits hier lebenden Kindern getrennt, beide haben Kinder unter sieben Jahren. Die Weisung des Berliner Innensenators besagt, dass Mütter und alleinerziehende Väter mit Kindern vor Vollendung des 7. Lebensjahres nicht inhaftiert werden dürfen. Dies gilt allerdings nicht in Fällen, in denen sich die Betroffenen bereits mehrfach der Abschiebung entzogen haben. Beiden Frauen wird dies zwar vorgeworfen, trotzdem hätte nach Ansicht des Flüchtlingsrates aus humanitären Gründen eine Inhaftierung unterbleiben müssen. Im Falle von Frau N hat Innensenator Körting jedoch erklärt, „…muss ich Ihnen mitteilen, dass ich keine Veranlassung sehe, Frau N. aus dem Abschiebegewahrsam zu entlassen oder ihre geplante Abschiebung, die ohne ihre Kinder durchgeführt werden soll, auszusetzen.“
  • Das Berliner Abgeordnetenhaus hatte am 26.09.2002 vor dem Hintergrund der besonderen historischen Verantwortung aufgrund der Ermordung hunderttausender Roma während des Nationalsozialismus eine Initiative für eine humanitäre „Bleiberechtsregelung für Roma“ (Drs. 15/353) beschlossen. Im März 2003 hatte der Innensenator gegenüber Kirchen, dem Diakonischen Werk und dem Berliner Flüchtlingsrat zugesagt, vor dem Hintergrund dieser historischen Verantwortung eine Einzelfallprüfung durchzuführen und die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen aus humanitären Gründen zu prüfen.
  • Beide Roma-Frauen lebten seit 1991 in Deutschland, haben hier Kinder und sollten nach Auffassung des Berliner Flüchtlingsrates bereits deshalb ein dauerhaft gesichertes Bleiberecht in Deutschland erhalten. Hinzu kommen vorliegend die durch die Inhaftierung und zwangsweise Abschiebung von den Berliner Behörden bewusst in Kauf genommene Gefährdung der Schwangerschaft sowie die Tatsache, dass in beiden Fällen die erwarteten Kinder Deutsche sind, weshalb ihre Mütter mit der Geburt ohnehin eine Aufenthaltsrecht in Deutschland haben. Beide Frauen waren in Berlin gut integriert, hatten soziale Bindungen, während dies in ihren Herkunftsländern – zumal für Roma – keineswegs der Fall ist.

Flüchtlingsrat Berlin
17.10.2003

 

Pressemitteilung vom 17.10.2003





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